Mittwoch, 23.05.2018
Seßlach – Masserberg 62 KM Gesamt:
807 KM
Heute sitze ich sehr lange am Frühstückstisch, ich esse
alles was das Buffet zu bieten hat und zögere die Abreise noch etwas hinaus.
Doch der Berg ruft.
Um das Ganze nicht zu einfach zu machen habe ich die 40
Kilometer bis ich zu den Bergen komme Gegenwind. Nach 11 Kilometern fahre ich
durch Ummerstadt und sehe auf einem Plakat Thüringen stehen, habe ich etwa
schon die Grenze überquert? Ich frage einen Mann am Wegesrand und tatsächlich
zwei Kilometer vorher war die Grenze zu Bayern. Das ist ja nun nicht irgendeine
Grenze gewesen und ich habe es nicht bemerkt, das wäre vor 30 Jahren noch
anders gewesen.
Nur langsam komme ich gegen den Wind vorwärts, trotzdem ist das
Wetter ganz passabel, nicht zu warm und nicht zu kalt. Es läuft heute nicht so
recht, die Beine sind etwas schwer, vielleicht war es nicht die beste Entscheidung am Tag vor der Bergetappe so weit zu fahren.
Nach 25 Kilometern ist schon fast
Mittag und ich treffe in Bad Rodach ein. Ich fahre erst am Bahnhof vorbei, dann
an einem Thermalbad, in der Ortsmitte befindet sich ein Massagesalon. Ein sehr
nettes Städtchen mit einem großen Marktplatz und vielen kleinen Geschäften und Hotels
in pittoreskem Fachwerk. In einem Straßencafé sitzt ein alter Mann, mit einem langen
weißen Rauschebart und einem uralten verschlissenen Radlershirt auf dem „Radtour
Deutschland 1966“ steht. Als er mein gepacktes Rad sieht schaut er kurz hoch,
reißt die Augen weit auf und ruft „ich muss zum Berg“. Doch sofort verändert sich
wieder sein Blick und selig lächelnd trinkt er sein Weizenbier. Ich werfe einen
Blick ins Café und eine hübsche Blondine mit wallendem Haar lächelt mich an,
vor ihr die herrlichsten Kuchen und Leckereien. Hier möchte ich so gerne bleiben.
Von weit weit weg dringt jedoch ein leises „Thomas Thomas du musst weiter,
sonst bist du hier verloren“ in mein Ohr und ein leichter Windhauch lässt mich
stolpern, so dass ich fast über mein Rad fallen. Die Verkäuferin lächelt mir zu.
Doch ich komme zur Vernunft und verlasse schnell dieses lasterhafte Dorf der Versuchungen,
nicht ohne vorher bei dem Mädel einen Erdbeerkuchen mit Sahne zu bestellen, ich
habe ja schließlich Urlaub.
Weitere 15 Kilometer weiter auf ebener Strecke aber
gegen den Wind, komme ich zum Thüringer Wald, der ans Thüringer Schiefergebirge
angrenzt. Jetzt wird es ernst. Ein kleines Brünnlein steht am Waldeingang, neben
dem Waldweg fließt ein Bach. Herrlich, wenn es nur nicht den Berg hoch ginge.
Immerhin ist es schön kühl hier im Wald, doch nach nur wenigen Metern werde ich von den
Mücken angefallen. Entfliehen kann ich ihnen mit dem langsamen bergauf Tempo
nicht. Ich lasse mich zurück zu dem Brunnen rollen und wasche mir mit dem
eiskalten Wasser den Schweiß ab. Danach massiere ich meine Waden, meine
Oberschenkel und meine Arme mit Allgäuer Latschenkiefer ein, für eine gute
Durchblutung meiner strapazierten Muskeln. Meinen Sonnenschutz erneuere ich
auch und es kommt noch eine dicke Schicht Sonnencreme darauf. Zu guter Letzt sprühe
ich nun noch auf alle nackten Stellen großzügig Autan drüber. Noch etwas Deo unter die
Achseln, falls ich Menschen begegne und es kann losgehen.
Nach ein paar Metern komme
ich wieder heftig ins schwitzen, aber die Mücken bleiben mir fern, die Mixtur zeigt
Wirkung. In Serpentinen werde ich den Berg hochgeführt, allerdings muss ich
mich damit abfinden, dass bei der nächsten Kehre nicht oben ist, das passiert
nicht, Meter um Meter, Kilometer um Kilometer geht es den Berg hoch, immer
weiter. Den einen Weg zu einer Kehre schalte ich etwas hoch und gehe aus dem
Sattel, den anderen schalte ich runter und fahre im Sitzen, nach 10 Wendungen
macht mir das Spiel keinen Spaß mehr.
Ein kleiner See in der Nähe der Quelle
der Werra bietet eine willkommene Einladung zu einer Pause. Doch ich bin auf der
Hut, jeder weiß doch, dass es im Thüringer Wald Luchse, Wölfe, Bären und
Säbelzahntiger gibt. Ich trage nochmals meine spezielle Bodylotion auf und
hoffe, dass auch die großen Tiere dadurch keinen Appetit auf mich bekommen und
Abstand von mir halten.
Immer wieder halte ich an, trinke, esse ein paar Nüsse oder
Vollkornbrot, schiebe etwas, steige wieder auf und fahre ein paar Meter und
versuche mich vom Fahren abzulenken. Der Körper kann es ja, nur der Kopf macht
so seine Probleme.
Kraftvoll fährt Jan Thomas Ullrich den Berg hoch, dieses Mal
wird er die Tour de Thüringen gewinnen und die letzte Lücke seiner grandiosen Radkarriere
schließen, doch ganz locker zieht Lance Ebike Armstrong an ihm vorbei und
grinst hämisch. Tja, Lance hat wohl heute die besseren Vitamine im Blut.
Immer
wieder spüre ich auch, dass jemand an mich denkt, mich anfeuert und mir ein paar
Meter Schub gibt, vielen Dank, ihr seid die Besten. Nie verliere ich den Mut oder die Ausdauer.
Da bei meiner GPS-Uhr konstant 230m Höhe
angezeigt wird und das sehr demotivierend ist, wenn man tritt und tritt und
angeblich nicht an Höhe gewinnt, lasse ich an einem Abzweig kurz das Rad stehen
und gehe zu einer nahegelegenen Hütte mit einer Schautafel.
Ungläubig lese ich,
dass ich bei 752m angekommen bin, kann das sein? Bin ich tatsächlich schon fast
oben? Ein unbeschreibliches Glücksgefühl übermannt mich, ich werde es gleich
schaffen und bin fast am höchsten Punkt der ganzen Reise. Ich renne zu meinem
Rad, springe auf, um die letzten Meter noch zu meistern, nach 10 Metern jedoch,
bin ich so außer Puste, dass ich anhalten muss und erstmal durchatmen. Es geht
immer noch den Berg hoch, also mach langsam, sage ich zu mir. Nach einer Weile
komme ich zu einer Hütte, 792m über NN, steht am Giebel.
Einen längeren Moment
verweile ich hier und lasse die Umgebung und die schönen Gefühle wirken und denke über meine verrückte Reise nach.
Mit einem Grinsen im Gesicht, radle ich nun
weiter auf dem Höhenweg mit tollen Ausblicken über den Thüringer Wald. Alleine
dafür hat sich die Plackerei gelohnt.
Es ist nun Zeit für einen Kaffee und ich
freue mich, dass der Weg in zwei Kilometern aus dem Wald heraus in eine Ortschaft
führt. Wie schnell doch jetzt plötzlich zwei Kilometer geradelt sind und das
ist auch gut, denn es bewölkt sich zusehends.
Die Hauswände und die Dächer hier
im Kurort Masserberg sind mit grauem Schiefer bekleidet, typisch für diese
Gegend, so ganz anders als daheim. Kaum Platz genommen auf der Terrasse im Café Kaiser fängt es
auch schon an zu regnen. Zusammen mit zwei anderen Gästen flüchte ich mich
unter eine Veranda.
Wir kommen ins Gespräch und ich beantworte sehr gerne die
Fragen zu meiner Reise. Das Paar macht hier in der Gegend Urlaub und kommt aus
Hamburg. Der Mann war hier schonmal zur Kur und ist auch ein begeisterter
Radler. Beim Abschied scherzten wir, dass wir uns bestimmt in Hamburg, oder zur
Kieler Woche im Norden wieder sehen. Werde ich es wirklich schaffen bis ganz in
den Norden, denke ich mir, na klar es geht ja jetzt abwärts.
Da nicht abzusehen
ist, dass es aufhört zu gewittern und zu regnen beschließe ich hier in
Masserberg zu übernachten, genug geschafft für heute. Morgen sind es dann noch
65 Kilometer bis Erfurt, zunächst noch auf dem Höhengrad und dann bis in die Stadt abwärts. Eine schöne Tour, nur hoffentlich
verzieht sich das Gewitter.
Wohnen tue ich heute in dem Sporthotel Rennsteig, sehr
schick in einem großen Zimmer, zu einem relativ günstigen Preis. Meinen Tagesbericht
schreibe ich an der schönen Hotelbar bei einem Feierabendbier.
Morgen kommt nun eine weitere große
Herausforderung in Erfurt auf mich zu. Ich werde in einer Jugendherberge
übernachten.
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