Dienstag, 15. Mai 2018 Schwäbisch Gmünd – Welden 95 KM Gesamt: 260 KM
Nach einem Frühstück in einem Trucker-Stop bin ich um kurz
vor neun wieder auf der Piste. Es ist leicht bewölkt und fühlt sich kalt an.
Ich bin eingemummt, mit langer Hose, langem Radlershirt, Regenjacke. Allerdings
kommt nach wenigen Kilometern die Sonne zum Vorschein und nach der ersten Steigung,
fahre ich mit kurzen Hosen, Kurzarm-Shirt und leichter Windjacke weiter.
Meine
Route führt über die Ostalb nach Lauingen an der Donau, ca. 70 Kilometer. Es
ist herrlich hier, ruhig, ein leichter Wind weht, Kühe und Schafe am Wegesrand,
ein kleiner Bach schlängelt sich am Radweg entlang. Das sind diese Momente, weshalb
ich das Radeln liebe, ich bin in Bewegung, genieße die Natur mit allen Sinnen,
Glücksgefühle durchfluten meinen Körper und meinen Geist. Leider wird diese schöne Stimmung immer wieder
unterbrochen, weil gebaut wird. Was genau weiß ich nicht, ich vermute die Baustelle
Stuttgart 21 zieht sich durch ganz Württemberg. Ständig muss ich vom ausgeschilderten Radweg
herunter und eine Umleitung fahren. Beim Autofahren denkt man dann in Minuten
oder Stunden, schon wieder Zeit verloren. Beim Radeln denkt man eher an zusätzliche
Strecke und Höhenmeter. Aber das ist mir heute egal, ich habe kein Zimmer
gebucht, wenn ich keine Lust mehr habe oder nicht mehr kann, höre ich einfach
auf und radle morgen weiter.
Das Wetter bleibt schön, damit habe ich heute gar
nicht gerechnet, die Wetterprognose verhieß anderes, umso glücklicher bin ich
darüber. Ich durchfahre viele kleine, schnuckelige Ortschaften, welche von der Landwirtschaft
geprägt sind und heute ist wohl Gülle-Dünge-Tag. Luftanhalten ist beim Radeln
allerdings keine gute Option, also rein in die Nase mit der frischen Landluft. Essenstechnisch
komme ich mit einem ausgiebigen Frühstück, irgendwo ein Fleischkäsebrötchen, zwischendurch
Studentenfutter und nachmittags Kaffee, eine Brezel, eine extra Portion
Magnesium und ein Energyriegel gut zu recht. Abends freue ich mich dann auf ein
schönes warmes Essen im Restaurant.
Es ist schon 16 Uhr geworden und ich bin
ca. 10 Kilometer vor meinem Zielpunkt Lauingen. Ich freue mich, dass bald Feierabend
ist, da zwischendurch schon ein paar heftige Steigungen zu bewältigen waren und
ich schon etwas müde bin. In einer Bäckerei genehmige ich mir noch einen Kaffee
um dann die restlichen Kilometer langsam und entspannt genießen zu können. Die
Sonne scheint, ein schöner Tag neigt sich dem Ende zu. Als ich jedoch wieder
auf das Rad steige, sehe ich das Unheil kommen. Dunkle Wolken ziehen auf, die
nicht nur Regen in sich tragen, Gewitterwolken sind das. Und prompt setzen Böen
ein, um die Dramaturgie nicht nur optisch wirken zu lassen.
Ich bin nur noch 10
Kilometer von meinem Tagesziel entfernt und möchte jetzt auch dort ankommen,
also überlege ich nicht lange, drehe mich nochmals zur Sonne um und fahre der
Gewitterfront entgegen. Es steigt leicht und ich fahre kraftvoll und schnell in
einem hohen Gang, aber ich halte das Tempo nicht lange durch, zu viele Meter stecken
schon in den Beinen. Außerdem lassen mich die heftigen Böen immer wieder schwer
schwanken, ich habe Mühe das Rad in der Spur zu halten. Noch 5 Kilometer, von
der Sonne ist nun gar nichts mehr zu sehen, es ist bedrohlich dunkel, über mir,
ringsherum.
Ein Tropfen landet auf meiner Hand, das Zeichen für den Sprinteinsatz
zum Ziel. Ich schalte hoch, gehe aus dem Sattel, und fahre mit 60 Sachen die restlichen
Meter, die ersten Häuser schon im Blick. Ok gefühlt 60, wahrscheinlich nur 20,
aber es ist mir verdammt schnell vorgekommen. Plötzlich durchschlägt ein Blitz den
Himmel bis zum Boden, begleitet von einem ohrenbetäubenden Donnerhall. Ich
erschrecke dermaßen, dass ich unbewusst eine Vollbremsung hinlege, das
Hinterrad blockiert und bricht seitlich aus. Intuitiv und aus Erfahrung mache ich
wohl alles richtig, denn ich bringe das Rad sicher zum Stehen. Ich zittere,
spüre meinen Puls, mein Herz rast. Thor hat seinen Hammer geschwungen und mich
begrüßt, oder war es eine Warnung?
Wie in Trance fahre ich in Lauingen ein,
setze mich an einer überdachten Bushaltestelle und nehme den Platschregen, der
nun einsetzt kaum war. Nach einigen Minuten bin ich wieder bei mir und meine
Stimmung wandelt sich von Angst in ein heldenhaftes Hochgefühl. Ich stehe auf,
trete auf den Marktplatz, reise mir das Shirt vom Leib, schlage mit beiden
Fäusten auf meine nackte Brust und rufe laut und mit tiefer Stimme in den Regen:
„Yeaahhh, ICH HABE FEUER GEMACHT“. Ob sich das nur in meinem Kopf so abgespielt
hat, kann ich jetzt im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit sagen, zumindest gefühlt
habe ich es so.
Aber halt, dranbleiben, der Bericht ist noch nicht zu Ende, ich
habe ja noch keine Unterkunft.
Gegenüber ist das Hotel Drei Mohren, schon beim
Hineingehen merke ich, dass das nicht meine Preisklasse ist. Das ehrwürdige
Gebäude im Jugendstil ist durchzogen mit einem eleganten Teppichboden. An der
Decke der hohen Empfangshalle hängt ein kristallener Kronleuchter und verursacht
ein diffuses Licht. Leise klassische Musik ertönt aus den nicht sichtbaren
Lautsprechern. An der Rezeption erkundige ich mich nach einem freien Zimmer ohne
nach dem Preis zu fragen, um zumindest den Eindruck zu erwecken, ich könne mir
das leisten. Hier erfahre ich nun von der netten Dame, dass ich hier in
Lauingen wahrscheinlich Pech haben werde, die Anfragen sind heute immens und
alle Hotels sind ausgebucht. Trotzdem telefoniert sie mindestens 5 andere Herbergen
an, jedoch wie erwartet erfolglos. Ich bedanke mich für ihren, wenn auch erfolglosen
Einsatz. Wieder an der Bushaltestelle recherchiere ich selbst nochmal und frage
bei mindestens 10 verschiedenen Hotels und Pensionen, alles ausgebucht. Enttäuscht
entschließe ich mich weiterzufahren. Immerhin ist das Gewitter vorbei.
Mein
nächstes Etappenziel ist Augsburg, ich lade die Routenführung aufs Handy und
setze mich wieder aufs Rad. Lauingen liegt direkt am Donauradweg, ich bin jedoch
froh, dass ich die Donau überquere und davon wegfahre, das gibt mir Hoffnung in
der nächsten, nicht so stark frequentierten Ortschaft etwas zu finden. Es ist ca. 17 Uhr, das ist noch nicht
zu spät. Der nächste Ort ist fast 10 Kilometer weg. Echt jetzt? 10 Kilometer?
Ich habe keine Lust mehr, ein Powerriegel gibt mir wieder etwas Kraft und gute
Laune, immerhin 5 Kilometer hält es an. Eigentlich müsste ich jetzt zu Abend essen,
aber ich brauche erst eine Unterkunft. Die Kilometer ziehen sich, dass es hoch
und runter geht trägt nicht zur besseren Stimmung bei. Am Ortseingang in
Holzheim steht ein altes verfallenes Gebäude. Der Schriftzug „Gasthaus“ ist
noch an der brüchigen Hauswand zu erkennen. Ich überlege mir ob ich nicht
einbreche, vielleicht steht noch irgendwo ein altes gammeliges Bett, Komfortgedanken
sind mittlerweile nebensächlich. Allerdings bin ich noch nicht genug Abenteurer
und fahre weiter, 3 Kilometer später, nach erfolglosem Fragen ob es hier eine
Möglichkeit gibt zum Übernachten, ärgere ich mich über die verpasste Chance.
Weder in Ellerbach, Fultenbach oder Zusamzell sieht es besser aus. Nichtmal
Tausend Einwohner haben diese Dörfer, wieso sollte hier auch eine Pension oder
ein Hotel sein. Ich verliere die Hoffnung. Im Vorfeld habe ich mir Gedanken über
eine solche Situation gemacht und mir ausgemalt, wie ich doch auch mal locker
auf einer Bank in einer überdachten Bushaltestelle schlafen könnte. Abenteuer
eben. Aber die Bushaltestellen sind hier nicht überdacht, ich fahr weiter.
Die
nächste Ortschaft ist Welden, 6 Kilometer bis dahin, versehentlich tippe ich auf
dem Handy auf das Höhenprofil. Ich werfe mir Magnesium und einen weiteren Energyriegel
ein, wenigstens war ich hier nicht arglos und habe genügend Ration dabei. Der Berg
ist gar nicht so steil, aber ich schiebe, weil ich weiß dass er sich zieht. Das erste Mal bisher, dass ich schiebe. Das Rad ist
schwer, anstatt der Oberschenkel, schmerzen nun die Arme. Irgendwann, viel viel
später, komme ich dann auch in Welden an, ein Zeitgefühl habe ich nicht mehr,
aber es wird wohl bald dunkel. Eine Frau läuft schnellen Schrittes den Gehweg entlang,
ich frage sie ohne Funken Hoffnung nach einem Gasthaus. "Ja kommen Sie mit, gleich um die Ecke, ist der Gasthof Hirsch, der hat Zimmer, da muss ich auch gerade hin",
meinte Agnes. Ich hätte sie umarmen können und all die Leiden der letzten Kilometer
sind vergessen. Wir unterhalten uns etwas, doch als wir dort ankommen schwant
mir schon böses. Der ganze Hof steht voll mit Monteur-Autos. „ Das letzte
Zimmer habe ich vor einer Stunde vergeben, hätten sie anrufen müssen“, verlautet
der Hirsch-Wirt. Ich versuche mich gelassen zu geben „ja macht nichts, Pech
gehabt, nach Augsburg ist es ja nicht mehr so weit, da finde ich bestimmt
etwas" entgegne ich wenig überzeugend. Im Ort gibt es noch ein weiteres Gasthaus, aber nach einem Anruf des
Wirtes, ist auch hier zu erfahren, dass nichts frei ist. Ich sehe mich nun
tatsächlich weitere 25 Kilometer bis Augsburg fahren, wahrscheinlich sogar direkt
bis München.
Aber ich habe die Rechnung ohne Agnes gemacht: "Wir finden schon
was für dich und wenn du bei uns im Speicher schläfst. Musst eine halbe Stunde
warten, ich habe hier eine Sitzung und dann schauen wir bei uns daheim weiter,
mein Mann ist auch ein Radler." Ich nutze die Gelegenheit und verspeise einen
leckeren Krustenbraten mit Knödel beim Hirschen und ziehe dann mit Agnes zu ihrem
Häuschen. Ich bin etwas skeptisch, aber nachdem ich auch von Ihrem Mann Björn
und Sohn Laurent freundlich begrüßt werde, legt sich meine Unsicherheit. Eine
weitere halbe Stunde versuchen wir im ganzen Umkreis ein Zimmer zu bekommen,
aber alles dicht, warum auch immer, das nächste Freie wäre tatsächlich in Augsburg. Und
was ich anfänglich als Scherz empfand, werde ich ein weiteres Mal auf eine
Matratze im ausgebauten Speicher eingeladen. Das ist das Allerschönste was ich
heute zu hören bekomme, ich nehme dankend an, weil ich auch merke, dass Agnes und
Björn keine Bedenken haben und es ihnen keine großen Umstände bereitet, immerhin
bin ich ein Fremder aus dem fernen Badnerland. Bei einem Bier wird es noch ein
unterhaltsamer Abend bei der sehr sympathischen Familie, bevor ich dann müde,
aber doch wieder glücklich, im Speicher auf der Matratze übernachten darf. Ich
danke euch beiden nochmals für die Gastfreundschaft, ganz besonders Agnes, die
mich nicht hat ziehen lassen.
Das ist nun erst der dritte Tag meiner Reise und ich habe
schon so einiges erlebt, gefühlt und gesehen, nette Menschen kennengelernt, einen
Halbgott aus Asgard und einen Engel aus Welden inklusive.